50 Cent…
50 Cent ist nicht viel Geld, oder!? Auch ist die Münze an sich ziemlich unscheinbar. Natürlich ist sie größer als ein 10 oder 20 Cent Stück, aber wirkliche Beachtung findet sie nicht. Aber wie sagte meine Oma immer, Kleinvieh macht auch Mist.
Als die Meldung aus dem Melder kam, hatte ich eigentlich nicht wirklich Lust, denn was meine Ohren und die der Kollegin hörten, verhieß nicht gerade der beste Einsatz dieser Nacht zu werden. Es sollte chirurgisch in eine Kneipe in der Altstadt gehen. Unter uns Kollegen gabs dafür meistens eine Abkürzung: „PAM, was soviel heißt wie, Paar aufs Maul“. Es war eigentlich noch zu früh für solche Art von Einsätzen, doch der Rettungsdienst ist ja immer wieder für Überraschungen gut. Also fuhren wir Richtung Altstadt und warteten einfach, was da kommen sollte.
Während wir so dahin fuhren, fragte ich mich, ob wir überhaupt tätig werden müssten oder ob unser Patient eine neue Bestmarke im Vernichten von Alkohol aufgestellt hatte. Bevor mir noch weitere Diagnosen oder Gründe einfielen, riss mich meine Kollegin aus den Gedanken: „Ey Paul, schau mal da vorne, da steht einer mitten auf der Straße und winkt, da wird’s wohl sein.“ „Vielleicht winkt der nur, weil er ein Taxi braucht“, versuchte ich es mit ein bisschen Galgenhumor, und meine Kollegin lächelte sogar. „Kommen Sie schnell mit“, rief uns unser Einweiser entgegen. Wir folgten ihm in eine Kneipe aus dem letzten Jahrhundert, der Zigarettenrauch hing wie Blei in der Luft. Da niemand auf dem Boden lag, musste es unserem Patienten ja eigentlich nicht so schlecht gehen. Und für so etwas fahre ich mit Blaulicht durch die Stadt, dachte ich mir schon, wie so oft in den letzten Jahren. Aber aufregen bringt ja nichts.
Am Tresen saß Herbert, so stellte uns der Einweiser unseren Patienten vor. Er hielt sich ein bisschen fest und als man ihm in die Augen schaute, war auch klar, warum. Auch konnte man rein äußerlich nicht sagen, dass unser Herr irgendeine Verletzung davon getragen hätte, also vielleicht doch noch für uns die Chance, es als Fehlfahrt zu reklamieren und wieder zurück auf die Couch zu kommen. Aber so einfach darf man es sich nicht machen, denn jeder Patient wird ordentlich untersucht.
Herbert hatte nach eigenen Angaben nur 2 Bier getrunken, woraus der Wirt dann 10 machte, plus die gleiche Anzahl an Schnäpsen. Das passte auch zu den leicht wippenden Bewegungen, die er machte. Was genau passiert war, konnte er nicht genau sagen, der Wirt konnte auch da wieder berichten, dass der Herr einfach mal so aus dem Stand nach hinten gekippt wäre und auf dem Hinterkopf gelandet war. Mit einer kleinen Pupillenleuchte leuchtete ich den Kopf ab, um zu sehen, ob man irgendwo eine Wunde finden konnte. Und genau in der Mitte des Hinterkopfs hatte er eine 50 Cent große Schürfwunde. Eigentlich kein Grund, weshalb man jemanden mit in die Klinik nehmen müsste.
Wer aber aus geschätzt 1.75 Meter ohne Abwehrmaßnahmen seinerseits auf einen Holzboden aufschlägt, den lasse ich ungerne „zuhause“. Herbert wollte eigentlich auch nicht mit uns fahren, aber wir konnten ihn überreden, doch mitzukommen. Er lief mit uns zum RTW und als er saß, schaute ich routinemäßig in die Augen, was man so macht, wenn jemand auf den Kopf gefallen ist. Aber da war alles gut, genauso gab es keine Kopfschmerzen oder Übelkeit. Auch konnte er sagen, welchen Tag wir hatten, also alles im grünen Bereich und kein Anzeichen für eine schwere Verletzung.
Die Zentrale Aufnahme im Klinikum war natürlich super begeistert, als wir mit Herbert dort auftauchten. „Was wollt ihr denn mit dem hier“, rief Schwester Gundula über den Tresen, nachdem ich mit der Übergabe fertig war. Recht hatte sie eigentlich, aber mir war es lieber, mich von der Schwester anmaulen zu lassen, als später vor einem Richter zu stehen und diesem zu erklären, wieso ich den Patienten nicht mitgenommen hatte. Wahrscheinlich war unser Patient schneller wieder aus der Klinik als ich auf der Couch liegen würde.
So machten wir uns auf den Rückweg und begaben uns wirklich auf die Couch unserer Wache. Da durften wir auch fast eine Stunde bleiben, bis der Melder wieder vor sich hin fiepste. Als meine Kollegin das Fax aus dem Gerät nahm, bekam sie große Augen und sagte in meine Richtung: „Paul, das glaubst du nicht, wen wir jetzt fahren sollen“. Ich habe keine Ahnung und nahm ihr das Fax aus der Hand und war auch erst einmal kurz sprachlos. „Das ist doch wohl ein schlechter Scherz“, und tippte schon die Nummer unserer Leitstelle in mein Handy. „Sach mal Achim, bist du sicher“, sprach ich den Disponenten an, „dass wir den Herbert fahren sollen, den habe ich doch vorhin erst gefahren“. „Doch sicher sollt ihr den fahren“, antwortete er, „der muss mit Notarzt in die Uniklinik. Mitnehmen sollt ihr aber nur Sauerstoff und das EKG“. In meinem Kopf lief der Einsatz noch mal ab. Hatten wir irgendetwas übersehen!? Die gleiche Frage stellte uns auch unsere Notärztin. Was wir denn mit Herbert gemacht hätten und ob er nicht symptomatisch gewesen wäre mit seiner Hirnblutung, die er jetzt hatte. Wir mussten beide etwas schlucken, aber als er bei uns gewesen ist, war noch alles in Ordnung.
Wir luden ihn auf unsere Trage und fuhren mit Blaulicht und Martinshorn los. Während der Fahrt bekam Herbert durch die Hirnblutung noch einen Krampfanfall, was nichts Gutes bedeutete. Wir waren wirklich froh, als wir ihn an die Neurochirurgie übergeben konnten.
Wieder mal ein sehr guter Artikel 🙂 Schön, dass du wieder schreibst! Weiter so!
Ach du grüne Sieben. Das ist ja unfassbar.
Was ist aus „Herbert“ geworden ? –
@Andrea
Was aus ihm geworden ist, kann ich dir leider nicht sagen.
Du hattest Dein portable CAT-Scan-set nicht auf dem Truck? Was fuer ein Laden ist das denn ….
„Wir“ koennen eben nur was festellen wenn die Symptome da sind – wenn keine da sind ist eben das KH dran. Soweit habt Ihr ja alles richtig gemacht.
@BRC_Medic
Ja klar, aber man sucht doch Reflexhaft erst mal bei sich nach Fehlern.
@derLüder
Ja sicher war es richtig, aber im Kopf sucht man doch erst mal bei sich nach Fehlern. Ja die Klinik hat es ja auch erkannt, sonst wäre er ja nicht verlegt worden.
offenbar war es richtig, ihn beim ersten Mal in der Klinik abzugeben.
Warum erkannte man die Hirnblutung dort nicht? Ich nehme ja mal an, dass die Klinik ihn ausgiebiger untersuchen kann (und untersucht hat?) als ihr das direkt in der Kneipe konntet?
findest du es nicht schade, dass ihr nie erfahrt was aus euren patienten geworden ist?
@karin
Doch sicherlich ist es manchmal sehr schade. Aber das liegt ja nicht an uns, sondern eher an der bestehenden Schweigepflicht der Krankenhäuser.
Schön mal wieder was von dir zu lesen, aber ja, so spielt das leben.
War das noch hier oder schon in der Schweiz?
*lach*der Artikel ist noch aus Deutschland 🙂
Soso… ich bin schon ganz auf schweizer Artikel gespannt. 🙂
Tröste dich: Eine Hirnblutung muss sich ja erst entwickeln, und das dauert bekannterweise schon mal mehrere Stunden. Da konnte es durchaus sein, dass man im „Erstangriff“ noch keine Symptomatik feststellt.
Wir hatten mal als RTW eine Frau, die zum Transportbeginn noch ansprechbar und orientiert, lediglich etwas schläfrig war und über leichte Probleme in der Motorik des linken Armes klagte. Kein Sturz, keine andere Gewalteinwirkung. Auf dem Transport trübte sie immer mehr ein, im Krankenhaus war sie schon bewußtlos. Als wir eine Stunde später den nächsten Patienten brachten, war sie tot. Machsse nix.
Schade, vermutlich hat es Herbert nicht geschafft. :-((((
Der Arme.
ähnliches hatte ich auch schon… älterer patient, wurde beim überqueren einer straße übersehen und mit einer geschwindigkeit um die 10 bis 20 km/h umgeklotzt…. adäquate antworten, voll orientiert, pupillen in ordnung; lediglich leichte kopfschmerzen mit deutlicher bremsspur auf der stirn sowie stärkere schmerzen im beckenbereich. was mir eben verdammt spanisch und gar nicht gut vorkam, beim eintreffen in der klinik hat der pat sich gewunden vor kopfschmerzen stärkster sorte… auf dem weg in die aufnahme noch mal in die pupillen geguckt, immer noch rein gar nichts zu erkennen…
2 stunden später wurde der pat. intubiert und beatmet weiterverlegt, was drauss geworden ist, wissen wir nicht…
aber wir kamen als team zu dem schluss, dass wir nun mal alles gemacht haben, was wir gelernt haben, und das in einer wirklich guten zeit…. aber wo nichts fürs bloße auge zu sehen ist, ist nichts zu sehen… seitens des aufnehmenden arztes waren aber natürlich nur wir schuld an der misere, wir hätten doch, und wir sollten, und… und außerdem sei doch überdeutlich ein monokelhämatom zu sehen gewesen… jaa, wenn der patient erstmal eine stunde in der aufnahme rumliegt, kann das wunderbar monokeln, als wir ihn abgegeben haben, war da eben nichts… aber schuld ist der blöde rettungsdienst, ist ja klar…
@souly
Ja so ist das leider, man sollte sich trotzdem immer mal wieder hinterfragen, egal ob wirklich Fehler gemacht wurden, oder man alles richtig gemacht hat.
Wow! Da kann man sich ja nur Rettungssanitäter wie Euch wünschen. Sehr schönes Blog übrigens. 🙂
Hallo Nikki,
Wilkommen auf meinem Blog 🙂 Und Danke für das Lob 🙂