Zum Inhalt springen

Vom Retter zum Geretteten Teil 4…

5. Juni 2013

Mein erster Dekubitus mit 33 jahren

Eines Tages kam der Physiotherapeut zusammen mit dem Pfleger und einem großen Stuhl. Er macht mir nun klar, dass man den Stuhl als Liege machen kann, mich via Rollbrett auf das Stühlchen schieben wird und mich dann aufrecht hinsetzen würde. Ich ahnte ja nicht, was da auf mich zu kam. Nachdem ich vorsichtig auf den als Liege vorbereiteten Stuhl geschoben wurde, konnte dieser via Elektromechanik in die aufrechte Position gebracht werden. Mir wurde sofort schlecht doch beide meinten da müsse ich jetzt durch. Die Werte waren alle ok und es sollte auch erstmal nur für eine Stunde sein. Wiederwillig blieb ich sitzen, was hätte ich auch anderes tun können? Und dann hörte ich mir wohl bekannte Geräusche: Bing Bing Bing und alles rannte in ein Zimmer. Ein 3 Sterne Alarm, da wird jetzt wohl ein bisschen gedrückt. Ich schaute auf die Uhr, mir tat der Po schon sehr weh aber ich saß erst eine halbe Stunde. Nach einer Dreiviertelstunde konnte ich auf diesem fast ungepolsterten Stuhl nicht mehr sitzen. Ich drückte die Klingel doch niemand kam. Na toll, ich saß in dem Stuhl fest, hatte heftigste Schmerzen und keiner kommt um mich aus der Situation zu befreien. Das Beatmungsgerät war auch nicht dran. Es dauerte 2 weitere Stunden bis ein Pfleger zu mir kam. Er war erschrocken das ich noch immer in dem Stuhl saß. Ich heulte vor Schmerzen. Er holte sich einen seiner Kollegen zur Hilfe und endlich wurde ich aus dieser Situation befreit. Als Dank hatte ich meinen ersten Dekubitus am Hintern und der tat weh. Ich konnte nicht mehr vernünftig auf dem Rücken liegen. Der Pfleger entschuldigte sich zwar, nur das half mir auch nicht weiter. Sie hatten 2 Reas gleichzeitig und haben mich deshalb wohl vergessen. Na schönen dank auch, ich war richtig sauer. Der Dekubitus wurde versorgt, doch die Schmerzen hatte ich. Nach diesem Erlebnis verweigerte ich den Stuhl.

Jetzt auch noch m. Parkinson?

Je mehr Zeit verging und je mehr ich meine Arme bewegen konnte, desto mehr zitterten meine Hände. Das war so extrem, dass ich nicht in der Lage war meine Hände zu irgendwas zu benutzen. Ich ließ den Neurologen antanzen und er erklärte mir das Risperdal, also das Neuroleptikum, ganz nebenbei auch ein Parkinsonoid ist. Und genau das war bei mir der Fall, ich hatte ein Medikamenten induziertes Parkinson Syndrom. Ich verdeutlichte dem Neurologen das mir inzwischen völlig klar ist das all die bösen Gedanken von Träumen ausgelöst wurden und ich kein Risperdal mehr einnehmen wollte. Nur zögerlich ließ er sich hierauf ein. Gleichzeitig informierte er mich aber auch darüber, dass es noch bis zu 4 Wochen dauern kann, ehe die Symptomatik gänzlich verschwunden ist. Und wieder kann ich nur sagen: Na vielen Dank auch! Die Gründe für meine Ängste war keine Schizophrenie sondern ausschließlich die Albträume und das Delir, also eigentlich nix außergewöhnliches.

Nach ca. 3 Wochen konnte ich selbstständig an der Bettkante sitzen. Kein Stuhl mehr, sondern Bettkante, ohne Rückenstütze oder Festhalten. Das freute mich natürlich, wiedermal ein Fortschritt. Mit Hilfe konnte ich nun auch ein paar Sekunden stehen. Weitere 4 Tage später hatte mich die Physiotherapie soweit, dass ich 2-3 Schritte am Rollator vor und zurück gehen konnte, zwar alles noch sehr steif und unsicher aber es klappte. Am 26.3. kam der Chefarzt zu mir und meinte das es mit dem atmen bei mir soweit gut funktioniert. Er würde mich jetzt mal 24h ohne Beatmung lassen und dann ggf. von dem Tracheostoma befreien. ENDLICH, das war es was ich hören wollte. Natürlich stimmte ich dem zu. Es klappte alles wunderbar, auch die BGA’s waren alle sehr positiv sodass ich am Folgetag dekannüllisiert werden konnte. Meine ersten Worte: Heute Mittag will ich vernünftiges Essen, keine passierte Kost. Meine Stimme hörte sich noch sehr komisch an. Aber das Schlucken funktionierte auf Anhieb schon sehr gut. Zum Mittag gab es Schweinebraten am Stück, nur von den Über-raschung im Kur-park

Pflegern klein geschnitten und gefüttert. Es schmeckte sogar recht gut. Achja, meine Werte waren von Anfang an so gut, dass ich ohne Sauerstoff auskam.

Am Ende des Tages kam der Chefarzt dann zu mir und meinte er würde mich jetzt, da ich dekannüllisiert war, sitzen und kurz stehen konnte, gerne in die Frühreha schicken. Bereits zu Zeiten in der Uni erhielt meine Mutter Infomaterial über eine Klinik (Akutklinik mit Frührehaeinrichtung) in Bad Lippspringe. Mein Arbeitgeber, eine große HiOrg, hatte bereits meiner Mutter zugesagt den Transport mit dem KTW zu organisieren. Selbstverständlich sollte ich von meinen Arbeitskollegen gefahren werden, dass war auch für meinen Chef ein großes Anliegen. Leider dauerte es noch bis zum 5.4. bis ich verlegt werden konnte. Ich war schon sehr früh wach und konnte kaum abwarten 2 meiner Kollegen wiederzusehen. Ich habe mich unglaublich hierauf gefreut und gegen 9:20 Uhr war es dann soweit. Sie waren da und ich konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Diesmal war ich der Patient, das erste mal bewusst. Von den anderen Transporten bekam ich ja nichts mit. Nicht ohne Stolz stand ich kurz auf, ging 2 Schritte mit dem Rollator und legte mich auf die Trage. Da meine Mutter die Koffer nicht zur Klinik bringen konnte, die Adresse aber eh auf dem Weg lag, fuhren wir danach meine Mutter samt Koffer abholen. Ich fragte die beiden ob wir kurz bei meiner Oma halt machen könnten, auch das lag auf dem Weg. Sie ist 93 Jahre und hat stark unter meiner Erkrankung gelitten. Sie hatte wahnsinnige Angst um mich und meinte immer warum denn nicht sie. Sie sei schließlich schon 93 Jahre alt, warum holt der Hergott nicht sie (sie ist sehr gläubig). Da meine Oma selbst am Rollator geht, halfen die beiden Kollegen ihr die paar Stufen runter und begleiteten sie zum KTW. Das Wiedersehen war sehr tränenreich. Meine Oma hatte sich sehr darüber gefreut Ihren Enkel nach fast 3 Monaten doch nochmal zu sehen. Auch mir tat es in der Seele weh sie weinen zu sehen also liefen mir auch die Tränen. Sie konnte zwar u.a. wegen des MRSA nicht in den KTW rein aber zumindest konnte ich ihr meine Hand soweit entgegenstrecken dass sie diese berühren konnte.Die Frühreha dauerte 2 Wochen und ich bekam in der Woche 15 Anwendungen bestehend aus Physio/ Ergotherapie und Logopädie. 2 Lungenfunktionstests die beide sehr positiv ausfielen wurden ebenfalls durchgeführt. Das Team der Frühreha schaffte es in nur 2 Wochen mich Alltagstauglich auf Vordermann zu bringen. Ich konnte laufen, Treppen steigen und den Toilettengang alleine erledigen. Alles zwar langsam aber immerhin durfte ich nun bis zur AHB nach Hause. Inzwischen bin ich in der AHB und mir geht es soweit ganz gut, nur die Kraft fehlt halt noch. Das wird sicherlich auch noch einige Zeit dauern aber ich bin geduldig. Hauptsache ich kann in ein paar Monaten wieder arbeiten… Wenn man mich fragt, was hast Du für einen Wunsch antworte ich gesund werden und wieder arbeiten können. Das sind die beiden größten Wünsche die ich habe. Wenn Patienten behandelt, egal ob vom Fach oder auch nicht, erklärt den Menschen was ihr tut. Ich habe lange Zeit Angst gehabt. Die meisten Maßnahmen kannte ich zwar aber dennoch muss man sich vertrauensvoll in fremde Hände begeben. Ich habe noch nie so viele Tränen vergossen wie in den letzten Monaten. Mein größter Rückhalt waren meine Mutter und meine Freunde. Meine Freundin hat mich während der Zeit auf der Intensivstation verlassen. Meine Mutter besuchte mich täglich und das obwohl meine Oma auch 3 Wochen im Krankenhaus lag. Sie kam Mittags zu mir und Nachmittags ging sie zu meiner Oma. Zwischendurch kamen dann noch viele Freunde von mir zu Besuch. Ich bin so unglaublich dankbar für jeden der mich besucht hat. Es wurde ein Poster mit Fotos von den meisten meiner Freunde gefertigt und aufgehangen. Ich bekam ohne Ende Facebooknachrichten u.a. auch Fotos die noch immer bei mir Gänsehaut auslösen. U.a. auch ein Bild in der fast alle meine Freunde in unserer Kirche Teelichter für mich anzündeten. In der Frühreha wurde ich mitten im Kurpark mit einer Grillsession überrascht usw… Dieser enorme Rückhalt hat mir immer wieder geholfen die Hoffnung auf Genesung zu finden. Wenn ich mal unten war und das war ich verdammt oft, haben mich solche Aktionen wieder nach vorne gebracht. Man mag es glauben oder auch nicht, aber für mich hat sich mein Leben verändert. Ich werde niemals mehr zu einem Patienten sagen jetzt stellen sie sich mal nicht so an…

Die Stimme der Freundschaft in der Not zu vernehmen, ist das Göttlichste, was dem Herzen widerfahren kann.

Diesen Spruch kann ich nur bestätigen 

11 Kommentare leave one →
  1. 5. Juni 2013 13:09

    Besonders den Ausklang der Geschichte finde ich tröstlich!

  2. nadar permalink
    5. Juni 2013 14:28

    Mir gefällt auch, dass du recht gut aus der Geschichte rauskommst.

    Was mir absolut nicht gefällt ist die offensichtliche Tatsache, dass man (zumindest in einigen Krankenhäusern) als Patient selbst medizinisch gebildet sein muss, um Schäden abzuwenden. Das kanns ja wohl nicht sein…

  3. 5. Juni 2013 14:31

    Puh, echt ne harte Nummer. Wenn ich mir überlege ich hätte das durch gemacht. Trotz dem positiven Ausgang hätte ich glaube ich noch lange Zeit Alpträume von der Horror-Klinik … da frage ich mich ernsthaft ob das was du erleben musstest (das ewige Warten auf eine Reaktion auf die Klingel)
    einfach nur von Ignoranz des Personals zeugt oder ein erschreckendes Beispiel für die Chronische Unterbesetzung auf Intensivstationen und Notaufnahmen in Deutschland ist.
    Ich wünsche dir alles alles gute und das du möglichst laaaaange Zeit kein Krankenhaus mehr stationär von innen sehen musst.

  4. schwesterle permalink
    5. Juni 2013 14:33

    Was für ein mutiger, starker Mann. Da kann man nur den Hut vor ziehen. 🙂

  5. seelenteil permalink
    5. Juni 2013 16:39

    schönes ende…..

    ich bin so traurig, dass ich wohl doch kein einzelfall bin. ich kenne dies „leiden lassen“ auf dem blog von „wunschleben“ habe ich geschildert, wie ich eine ganz nacht mit einer durchstochenen „vene?“ in der armbeuge lag und musste die schmerzen aushalten. obwohl ich bescheid gegeben habe.

    in krankenhäusern lag ich schon in einem bettdeck, dass in die pfanne geraten war – bekam kein neues! musste in der pisse schlafen. mir wurde gewalt angetan. beschimpfungen und brutalität. denn JA, die schmerzen hatte ICH und bei anderen, schlimmeren dingen habe ICH das trauma, die dauerhaften schäden, der seele.

    mir geht es wie dir, die tränen, der angstschweiß, die ohnmacht und das gefühl des ausgeliefert seins – war nie größer als wenn ich im krankenhaus ausgeliefert war.
    und leute, die laien sind, die sich nicht auskennen, die haben auch vor mehr geräten und dingen angst. vor allem wenn man nicht wie ein mensch behandelt wird, sondern wie ein gegenstand. KEINER würde seine eigenen kinder SO behandeln lassen oder zusehen, wenn sie so behandelt werden. bei kindern würde man immer versuchen angst zu nehmen, vor spritzen, vor allem.

    wir sollten nie vergessen, das WIR ALLE in extremsituationen angst haben und wie kinder sind. wer so hilflos ist, der ist wie ein kind. selbst wenn er von fach ist.

    • seelenteil permalink
      5. Juni 2013 16:41

      und ich muss dazu sagen – dieser rückhalt…. der macht SO viel aus!
      ich weiß wie es ganz ohne ist. wenn man allein steht und niemals wieder richtig gesund wird. wünsche allen viel gesundheit.

  6. Stefan Koller permalink
    6. Juni 2013 13:34

    Meine Mutter lag seinerzeit im Johanne-Etienne-Krankenhaus in Neuß mit atypischem Parkinson und lädierter Hüfte. Nachdem Sie mich anrief und unter Tränen erzählte, daß Sie nur noch Galle erbricht, brach ich ein Seminar vorzeitig ab und fuhr nach Neuß. Die „Ärztin“, die sich mir in ebenso arroganter wie dämlicher Weise präsentierte…bekam von mir schlußendlich den freundlichen Rat, ihren Schnabel zu halten, weil ich ihr sonst ihre Arroganz rechts und links um die Backen gehauen hätte. Ich habe meine Mutter dann in ein anderes Krankenhaus verbringen lassen…

  7. Naya permalink
    10. Juni 2013 08:16

    Hui, das ist ja eine erschütternder Bericht!
    Ich wünsch dir, daß das mit dem Gesund werden und wieder arbeiten können, genauso klappt, wie du es dir vorstellst!

    Was die Pflegersituation im Krankenhaus angeht, hab ich aber auch gehört, daß das leider aus Personalmangel kein Einzelfall sein dürfte. Das kann daher vermutlich in vielen Kliniken so ähnlich passieren von den Reaktionszeiten. Den meisten würd ich da aber keine Absicht unterstellen, eher totale Überforderung und Stress durch zu lange Schichten und zu viel Arbeit gleichzeitig.
    Scheiße für den Patienten ist aber beides und dürfte eigentlich nicht sein.

    Aber eine Kritik hätte ich an dem Bericht an sich:
    Mag sein, daß ich einer der wenigen medizinischen Laien bin, die hier lesen, und der Rest alles auf Anhieb versteht, aber ich mußte ziemlich viele Begriffe und Abkürzungen nachschlagen, was das Lesen an manchen Stellen etwas mühsam gemacht hat.

    • 10. Juni 2013 10:25

      @Naya,

      Das geht auf meine Kappe. Eigentlich hatte ich auch vor die Fachwörter zu verlinken, aber das ist dann leider untergegangen.

      LG

      Paul

  8. Steffen permalink
    15. Juni 2013 19:37

    Danke, dass du deine Erfahrungen teilst!
    Als RS und angehender Mediziner wirklich sehr bewegend….
    Häufig haben die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, keinen Einblick in das Erleben des Patienten.
    Die Wenigsten haben, vor allem in Bereichen wie auf der Intensivstation und im Rettungsdienst, die andere Perspektive selbst erlebt.

    Ich freue mich, dass du auf dem Weg der Besserung bist und geistig gestärkt der Zukunft entgegentreten kannst!

    Was mich jedoch besonders erschüttert hat war, dass dich deine Freundin in der Zeit auf der Intensivstation verlassen hat.
    Was geht in solchen Menschen vor, die in Momenten der höchsten Not ihre Liebsten im Stich lassen?!

    Für deine Zukunft wünsche ich dir nur das Beste!
    Danke dir!

  9. 27. Februar 2014 16:37

    Hey, das mit den Alpträumen kenne ich… Aber ich scheine mich davon wohl recht schnell erholt zu haben. Zumindest habe ich, so weit ich weiß, kein Neuroleptika zusätzlich bekommen. Hatte eh schon genug Psychopharmaka
    Gibt es eigentlich gezielte psychologische Hilfe für Menschen die so etwas durchgemacht haben? Also mit künstlichem Koma / künstlichem Schlaf und danach darunter leiden?

Hinterlasse einen Kommentar