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Erste Hilfe Geschichten Teil 3…

16. April 2013

Heute erzählt Christina von ihrem Erlebnis.

Es war ein warmer, sonniger Ferientag. Meine Mutter war mit meinen Bruder und mir auf der Hinfahrt zu einem Freizeitpark. Damals war ich so um die 10 Jahre alt, mein Bruder müsste 5 Jahre alt gewesen sein. Wir hatten schon etwas über eine Stunde Fahrt hinter uns und freuten uns auf den Tag. Endlich konnten wir schon die ersten Rutschen usw. in der Ferne sehen, noch ein paar Mal abbiegen und wir waren da.

An einer Kreuzung passierte es quasi direkt vor unseren Augen, der Unfall dürfte gerade vor einer Minute passiert sein. Man sah folgendes Szenario: Ein Lkw war frontal in einem Reisebus gekracht. Der Lkw lag nun im Seitenstreifen, der Reisebus war umgekippt.

Meine Mutter reagierte sofort, schaltete das Warnblinklicht ein, rief mir zu, ich solle meinem Bruder ein Buch oder so vorlesen, sodass er sich das nicht angucken brauchte, und rannte dann zu der Unfallstelle.
Ich weiß nicht, ob ich damals nicht den Ernst der Lage begriffen habe, jedenfalls fand ich es eher spannend zu sehen, was passiert war und was folgte. Also habe ich meinen Bruder ein Buch in die Hand gedrückt und ich selber habe wie gefesselt auf die Frontscheibe gestarrt. Mit meinem damaligen Alter habe ich nicht begriffen, wie schlimm der Unfall war.
Nachdem meine Mutter sich der Unfallstelle näherte, folgten noch weitere Personen und man hatte das Gefühl, das Innenleben des Busses würde zum Leben erweckt werden: Scheiben wurden zerschlagen und lauter Kinder in meinen damaligen Alter kamen heraus, alle so ungefähr 10-12 Jahre alt. Ich sah meiner Mutter die Panik richtig im Gesicht an, daran erinnere ich mich heute noch, auch wenn der Unfall jetzt schon 7 Jahre zurückliegt.

Meine Mutter rannte zurück zu unserem Auto, um ein Verbandskasten zu holen. Wieder an der Unfallstelle angekommen, kramte sie im Verbandskasten, um Blutungen zu stillen. Aus Erzählungen von ihr weiß ich, dass sie damals das Gefühl hatte, dort nichts Vernünftiges zu finden. Sie hatte das Gefühl, der komplette Verbandskasten würde nur aus Dreieckstüchern bestehen. Nach kurzer Zeit des Wühlens gab sie es auf und war sehr froh über ein Mann, der versuchte, klare Anweisungen zu geben. Er forderte meine Mutter auf, auf ein Mädchen beruhigend einzureden, sodass die nicht bewusstlos wird. So fühlte meine Mutter sich endlich nützlich und hatte das Gefühl, eine Aufgabe übernehmen zu können. Sie hat auf das Mädchen eingeredet, bis endlich die ersten Sirenen zu hören waren und ein Rettungsassistent sie ablöste. Danach half sie noch den anderen Menschen, die ganzen gesunden Kinder zusammenzuhalten, denn die standen ja mitten auf der Schnellstraße.

Nachdem meine Mutter nicht mehr helfen konnte, fuhren wir dann noch zum Freizeitpark. Genießen konnten wir den Tag nicht mehr so, wie wir eigentlich wollten. Mit Ausnahme meines Bruders, er bekam am wenigsten von der ganzen Sache mit. Meine Mutter telefonierte dort angekommen erst einmal mit meinen Vater. Noch lange Zeit später hörten wir immer noch Einsatzsirenen und sahen mit einem sehr mulmigen Gefühl einen Rettungshelikopter über unsere Köpfe hinweg schweben.

Am nächsten Tag konnten wir in der Zeitung lesen, dass der Reisebus voll mit ferienbetreuten Kindern genau das gleiche Ziel wie wir hatten, also wäre er in 5 Minuten angekommen. Außerdem lasen wir, dass es ein Junge leider nicht geschafft hatte, er war am nächsten Tag an den Folgen des Unfalls gestorben. Auch wenn es sich zuerst absurd anhört, meine Mutter war froh, dass es sich nicht um ein Mädchen gehandelt hat, so hatte sie die Gewissheit, dass es nicht das Mädchen war, welches sie beruhigt hatte. Dem Lkw-Fahrer wurden noch an der Unfallstelle die Beine amputiert.

Kurz nach dem Unfall hat meine Mutter mit mir zusammen einen Erste-Hilfe-Kurs besucht, da sie nie wieder in die Lage kommen möchte, der Situation komplett hilflos gegenüberzustehen.

Mein Berufswunsch ist es übrigens, Notärztin zu werden, wenn dies mein Numerus Clausus zulässt. Wenn nicht, möchte ich Rettungsassistentin werden. Ich weiß nicht, inwiefern oder ob dieser Unfall zu dieser Entscheidung beigetragen hat, aber das ist mein Traumberuf.

5 Kommentare leave one →
  1. Ennosuke permalink
    16. April 2013 10:42

    Respekt für deine Mutter, dass sie so reagiert hat und nicht weiter gefahren ist, aber auch die anderen Erst-Helfer verdienen Respekt, auch wenn es eigentlich selbstverständlich sein sollte zu Helfen, aber es fordert, gerade bei schwerwiegenden Geschichten und/oder mit Blut, sicherlich viel Überwindung. Ich kann voll und ganz verstehen, dass deine Mutter „froh“ war, dass nicht vom Tod eines Mädchens die Rede war, denn das hätte sicherlich genagt.

    Danke für das Teilen deiner Gesichte Christina 🙂 Und ich drück dir die Daumen, dass du deinen Traumberuf ausüben kannst 🙂

  2. 16. April 2013 12:55

    Tolle Geschichte!

  3. Galahad permalink
    16. April 2013 17:07

    Liebe Christina, ich vermute mal du bist jetzt schon in der Oberstufe oder zumindest kurz davor. Je nach dem vllt. sogar im nächsten Abiturjahrgang. Falls du wirklich Medizin studieren willst, lass dich auf keinen Fall von einem NC abschrecken. Rettungsassistent, Krankenschwester oder eine Ausbildung in etwas ganz anderem können dir helfen, die Wartezeit gut zu überbrücken. Träume können wahr werden, frage ist nur wann!

  4. Christina permalink
    16. April 2013 22:24

    Ja, ich mache in 2 Jahren mein Abitur, bin also nun in der Oberstufe und habe beispielsweise um meinen Traum schon ein Stück näher zu rücken, erst vor einem Jahr Latein gewählt, da es leider vorher noch nicht möglich war. Das bedeutet aber gleichzeitig auch, extrem viel Stoff zu lernen in sehr kurzer Zeit. Das was andere in 7 Jahren lernen, bekommen wir in kompakter Art und mit viel Eigenarbeit verbunden in 3 Jahren reingeprügelt. Aber ich weiß ja wofür ich es mache, das ist meine stetige Motivation und es ist cool zu wissen, dass man sich jetzt zumindest manche Diagnosen allein vom Namen her selber ableiten kann, z.B. die Endung -itis = Entzündung usw.
    Ich galube an meinen Traum und weiß, dass ich früher oder später dem ersten Einsatz mit zittrigen Händen und Blaulicht entgegenfahren werde 🙂

  5. Katrin Thiel permalink
    30. April 2013 21:42

    Liebe Christina,

    Ich finde es ganz toll, dass Du Dich für Medizin entschieden hast. Lass Dir gesagt sein, dass ein guter NC kein Garant ist für einen guten Mediziner (ich spreche aus Erfahrung).
    Du bist noch jung. Sollte Dein NC nicht für einen Direkteinstieg reichen, dann mach eine medizinische Ausbildung (Physiotherapie war meine Wahl).
    Und in den meisten Unis brauchst Du kein Latein, ich habe nie Latein-Unterricht gehabt. Dafür gibt es im Studium das Fach der medizinischen Terminologie.

    Auf jeden Fall drücke ich Dir die Daumen.

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