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Kann man es nicht wieder zurück schieben!?…

23. April 2011

Ähm… wie war das noch mal? Zuerst der rechte Arm, oder doch der linke!? Fragen, die mir seit dem Bimmeln meines Melders durch den Kopf gehen. Außerdem schaut mein junger Kollege auch etwas panisch. Na super, denke ich, ich bin ja selbst ein nervliches Frack. Und jetzt muss ich auch noch meinem Teampartner gut zureden. Ich schwitze wie ein Schwein, je näher wir unserem Einsatzort kommen.

Eigentlich fing ja alles an wie immer. Wir sitzen auf unserer Wache und warten auf die Dinge, die da kommen mögen. In unserer Ausbildung wurden wir auf vieles vorbereitet. Ich kann nachts um 3 Uhr eine Reanimation aus dem Ärmel schütteln oder die Maßnahmen bei einem Herzinfarkt aufsagen, aber wenn das Thema „Geburt“ kommt, dann sieht man bei Paul erst einmal ein paar Fragezeichen auf der Stirn. Alles, was wir im Rettungsdienst nicht so häufig haben, muss aus den hinteren Gehirnwindungen nach vorne geholt werden. Deswegen ist es auch so wichtig, sich immer fortzubilden oder Dinge einfach mal wieder nachzulesen, die man nicht so häufig vorkommen.

Von meinen Gedanken bekommt Frau Schwarz nichts mit, die mit hochrotem Kopf auf dem Klo sitzt und ihren Wehen freien Lauf lässt. Ihr Ehemann schwitzt wohl genauso stark wie ich, denn er läuft etwas kopflos durch das neue Haus. Wahrscheinlich stößt die werdende Mama auch einige Verwünschungen aus, aber auch das bekommen wir noch nicht mit. Irgendwann beschließt der Ehemann doch mal den Rettungsdienst zu rufen. Und jetzt treten die 2 Helden auf den Plan, die in diesem Moment wohl eher nach Madagaskar auswandern würden, als zu einer Geburt rauszufahren. Die erste Meldung auf unserem Alarm-Fax ist nicht weiter tragisch, denn das Stichwort „Geburt“ hatten wir bis dahin schon öfter. Meistens liefen die Mamas in den RTW und wir fuhren sie in den nächsten Kreißsaal. So fuhren wir auch dieses Mal los, aber dann sollte die Meldung kommen, die uns etwas durcheinander brachte. Die Leitstelle meldete, dass das Köpfchen des neuen Erdenbürgers schon etwas herausschauen würde. Frei nach Michael Mittermeier, dachte ich in diesem Moment, kann man es nicht wieder zurück schieben? Außerdem war mir danach, wie bei „Wer wird Millionär“ nach einem Telefon- oder Publikumsjoker zu fragen. Wenigstens wurde dieser Wunsch erhört, denn unsere Leitstelle schickte nicht nur unseren Notarzt mit, sondern organisierte auch gleich eine Hebamme, die mit unserem Doktor mitfuhr. Das war fast wie den Jackpot zu knacken, aber die ersten Minuten mussten wir trotzdem irgendwie allein überbrücken.

Wir müssen unseren Einsatzort nicht suchen, denn Herr Schwarz steht wild winkend auf der Straße. Okay, denke ich mir, hilft ja alles nichts, ich kann den armen Mann nicht einfach umfahren. Also bremse ich und komme 2 Meter vor ihm zu stehen. Jetzt bloß nichts vergessen, denke ich mir und wir schnappen uns alle Ausrüstungsgegenstände. Herr Schwarz läuft voraus und man hört seine Frau schon aus dem Erdgeschoss schnaufen. Wir müssen hoch ins erste Obergeschoss, und ich laufe möglichst langsam, denn auf dem Weg dorthin versuche ich noch mal alles an Fachwissen aus meinem Gehirn herauszupressen, was es über Geburten weiß! Bevor ich mich versehe, stehen wir in dem viel zu kleinen Bad und ich sehe wie Frau Schwarz breitbeinig über dem Klo steht. Und da schaut wirklich ein mit schwarzen Haaren besetztes Köpfchen aus der Scheide heraus. Ich bin wie paralysiert, tue aber erst einmal das Richtige, indem ich Frau Schwarz vom Klo herunterhole und das Köpfchen stütze, während sich die werdende Mama auf den Boden legt. Nun hätte ich wohl besser mal meinen eigenen Puls gefühlt, um mich ein bisschen zu beruhigen. Hab ich aber nicht, sonst hätte ich jetzt nicht das Blutdruckmessgerät für Erwachsene aus dem Koffer geholt und Frau Schwarz den Blutdruck gemessen. Zum Glück hört man in diesem Moment unseren NEF Fahrer aus dem Erdgeschoss nach uns rufen. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen, Frau Schwarz wohl auch, denn es naht professionelle Hilfe.

Die Hebamme und unser Doc kommen ins Bad und jetzt ist hier wirklich kein Platz mehr. Ich werde rausgeschickt und bin den beiden dafür unendlich dankbar. Mein Kollege und ich werden dazu eingesetzt, noch irgendwelche Dinge aus dem NEF zu holen. Als wir das zweite Mal ins Badezimmer treten, kräht ein neuer Erdenbürger munter durchs Haus. Wir schauen uns an und grinsen dabei etwas debil durch die Gegend. Obwohl wir mit der Geburt nicht wirklich was zu tun hatten, freuen wir uns wahnsinnig darüber. Wir gratulieren den Eltern und fühlen uns fast so, als hätten wir selbst ein Kind bekommen. Die Hebamme reißt uns alle aus unseren Träumen, denn wir müssen noch mit Mama und Kind in die Klinik. Also nehmen wir Frau Schwarz und die Hebamme das Kind und so geht’s zum RTW.

Die Fahrt ist jetzt wie jede andere, nur grinsen alle. Nachdem wir unsere Mama mit Kind im Kreißsaal abgeliefert haben, geht unsere erste Fahrt zur nahen Tankstelle, denn als fast frisch gebackene Eltern gönnen wir uns eine Zigarre. So stehen wir nachts um 2 Uhr vor der Wache, rauchen eine Zigarre und grinsen immer noch um die Wette. 

27 Kommentare leave one →
  1. 23. April 2011 21:30

    Das sind dann die Momente in denen der Job wunderschön ist 🙂 Danke für die schöne, positive Geschichte.

    • 24. April 2011 07:07

      @Kranke Schwester

      Ja in diesem Moment ist der Job wunderschön 🙂 Und Willkommen auf meinem Blog 🙂

      @Der Maskierte

      Natürlich schaut man danach wieder in die Bücher..und ich denke,..heute würde es besser klappen als damals 🙂

      @ Retterweblog

      Auch dir ein Willkommen auf meinem Blog 🙂 Nein wir haben kein Taschenbuch auf dem RTW, man sollte es ja auch wirklich so wissen!

  2. 23. April 2011 21:34

    Herrliche Geschichte. Ich kann euer Herzklopfen verstehen.

    Und? Fleissig alles Fachwissen über Geburten entstaubt und griffbereit gelegt?

  3. 24. April 2011 00:04

    Mein Horror 😉
    Habt ihr auf dem RTW kein Taschenbuch für die Anfahrt?

  4. rettungsdienstblog permalink
    24. April 2011 08:20

    Man kann nicht alles wissen, ist leider wirklich so. Und für den Fall der Fälle haben wir bei uns ein Taschenbuch, das uns auf der Anfahrt notfalls aus der Patsche hilft.

    http://rettungsdienstblog.wordpress.com/2010/11/13/reihe-buchrezensionen-teil-ii-memorix-notfallmedizin/

    Gruss und frohe Ostern,
    RDBlog

  5. 24. April 2011 11:21

    Sehr krasse Geschichte. Aber selbst, wenn ich dieses Taschenbuch im Auto hätte wäre ich denke ich trotzdem sehr nervös, weil solche Einsätze eben sehr selten sind. In meinen nunmehr fast 7 Jahren musste ich bisher noch kein Kind gebähren bzw dabei helfen. Das knappste war eine Geburt 15 Minuten nach Erreichen des KHs 🙂
    Aber man macht sich ja schon so seine Gedanken. Als wir die Themen Gyn, Geburt, etc gerade in der RettAss-Ausbildung durchgenommen hatten sass ich ein paar Tage später mal im Bus, als eine schwangere Frau einstieg. Und ich habe dann die komplette Fahrt über, bis sie ausstieg, überlegt, wie das noch gleich alles funktioniert, welcher Handgriff in welcher Reihenfolge, wo die nächsten KHs sind, etc. Man kann sich auch bekloppt machen 😉

    Auf jeden Fall mal frohe Ostern!

  6. Mr. Gaunt permalink
    24. April 2011 14:10

    Eine schöne Geschichte. Im Rettungsdienst hat man es ja sonst nur mit Situationen zu tun, in denen man schlechten Ergebnisse einer Krankheit oder eines Unfalls möglichst minimiert. Nur bei der Geburt kommt am Ende ein besserer Zustand heraus und nicht etwas weniger schlechtes, wenn man seine Arbeit sauber getan hat.
    Was ich nicht ganz verstehe: Was treibt die Dame denn auf die Toilette?

    Mit der Zigarre muss ich als Zigarrenraucher aber meckern. Bei der Tankstelle gibt es nicht wirklich Zigarren, sondern zigarrenähnliche Tabakerzeugnisse. Hoffentlich war es wenigstens eine Vasco da Gama und nicht eine Independence. Aber gut, einen Humidor auf der Wache mit guten Zigarren für eine Geburt alle fünf Jahre zuzulegen wäre etwas zuviel verlangt. 😉
    Ich empfehle, in den Alarmplan für Geburten eine genaue Wegbeschreibung zu einem Tabakhändler des Vertrauens aufzunehmen, der anständige War vertreibt. Und mindestens 50% zigarrenrauchende Kollegen anzustellen, die mittels Melder alarmiert werden können, um auch nachts die Versorgung sicherzustellen. Auf jeden Fall ein wichtiges Thema für die nächste Qualitätsmanagement-Besprechung.

  7. Julie permalink
    24. April 2011 21:12

    Haha, mein Ex-Freund ist Rettungsassistent und er erzählte immer mal wieder, dass DAS genau seine Alptraum-Situation sei 😀

    Schön aufgeschrieben 🙂

    • 25. April 2011 12:00

      @Julie

      Willkommen auf meinem Blog 🙂 Es ist eigentlich das schönste, was man in diesem Job erleben kann. Ich wollte eigentlich damit nur mal zeigen..wir sind auch nur Menschen, die nicht alles Wissen..und auch mal Blut und Wasser schwitzen 🙂

      @Mr Gaunt

      Natürlich war es nur eine billig Zigarre, ich kann mir ja auch nicht mehr leisten 🙂 Was die Dame da wirklich wollte, kann ich dir auch heute nicht benatworten.

      @Kuhflecki

      Es ist einfach so, Einsätze, die man nicht oft hat, die können einem schon mal Angst machen. Aber ansonsten sind Geburten was sehr schönes 🙂

      @FireFox

      Im RD erlebt man es wirklich nicht oft, dass man zu einer wirklichen Geburt gerufen wird. Schön ist es dann trotzdem.

  8. 24. April 2011 21:49

    Sehr schöne Geschichte 🙂
    ….nur eine Frage in die Allgemeinheit: Warum habt ihr alle „Angst“ davor, bei Geburten zu helfen?

    • rettungsdienstblog permalink
      24. April 2011 23:30

      Vllt. weil wir Männer sind und sowas nicht so oft miterleben, geschweige denn erleben… 😉

  9. 24. April 2011 23:34

    Ich war auch mal Geburtshelfer. 3. Kind, Geburt vor dem Sofa.Damals schrieb ich aber noch kein Blog, daher hier die Kurzfassung: Es fing an wie ein ganz normaler Alarm. „Einsetzende Geburt“. Zunächst hatte ich noch Hoffnung, die Frau käme zu Fuß zum Auto. Als ich vor Ort hörte, dass die Wehen minütlich kamen, habe ich den Kollegen zum Funk geschickt, eine Löschfahrzeugbesatzung zur Tragehilfe zu bestellen. Als er wiederkam, hatte ich den Kopf des Kindes schon auf der Hand und schickte ihn direkt nochmal zum Auto: Notarzt zur Einsatzstelle bestellen (der hier nicht automatisch mitfährt, nur, weil eine Schwangere meint, „es geht los“) und den Kinder- Notfallkoffer holen. Als die Notärztin da war, war das Kind schon bei Mama auf dem Bauch. Und seit dem glaube ich der Hebamme, die uns ausgebildet hat: Sie sagte, dass heute viel zu oft eine „Risikoschwangerschaft“ eingetragen wird. Zudem sagte sie uns, dass wir wohl nur in den zweifelhaften Genuss kämen, eine Geburt im RTW oder zu Hause zu erleben,wenn die Mutter bereits einige Geburten hinter sich hatte und es daher sehr schnell gehen kann. Und wenn das Kind richtig liegt, gibt es dabei selten Probleme. Also: Lass‘ mal langsam kommen! 🙂

  10. 25. April 2011 15:17

    Ist das Kind ein Mädchen oder ein Junge ? – Das hast du vergessen zu erwähnen.

    Ganz schön eilig, hatte es das Kind auf alle Fälle. 😉

  11. mich permalink
    25. April 2011 15:49

    Da schiesst mir gleich die frage in den Kopf warum die Frau ins KH gefahren wurde? Es gibt doch ambulante und Hausgeburten. Ich an ihrer stelle waere gleich zu Hause geblieben…..

    • 25. April 2011 16:41

      @mich

      Willkommen auf meinem Blog. Ich denke, es könnten bei einer solchen Spontan Geburt einfach gewisse Risiken auftreten und keiner aus dem RD möchte die Verantwortung dafür übernehmen. Deswegen werden wohl die meisten dann auch mit genommen.

  12. 26. April 2011 03:35

    Klugscheißermodus an -viele Damen denken sie müssten sich entleeren, da es im Enddarm Rezeptoren gibt die auf Druck reagieren und da nun bei der Geburt auch im Enddarm ein gewisser Druck entsteht, haben Frauen oft das Gefühl sie müssten zur Toilette. Durchaus ist es auch möglich, dass Frau Kot „verliert“ unter der Geburt. – Klugscheißermodus aus

    Ich freue mich für dich, ich finde es ist so ein tolles Gefühl, behalte es dir in Erinnerung. Wir erleben viel zu viel Negatives.

  13. MavoDaMi permalink
    26. April 2011 21:55

    oh was für ein tolles erlebnis – unsicherheit hin oder her. alles richtig gemacht und das wunder des lebens „mal eben nebenbei“ mitbekommen… schööön! 🙂

    • 28. April 2011 10:14

      @MavoDaMi

      Willkommen auf meinem Blog 🙂 Ja..es war trotz allem wunderschön 🙂

      @rosenyland1984

      Sie junge Frau hier..ich möchte doch bitten..hier nicht über mein jugendliches Alter zu lästern 😀

      @bloggaspritze

      Willkommen auf meinem Blog 🙂 Danke für die Infos..die kannte ich nämlich auch noch nicht!

  14. 27. April 2011 11:36

    @alltag

    „Typisch Mann“ – auf jedes scheinbar unwichtige Detail achten – Mutter versorgt, Kind versorgt etc. – doch vergessen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. 😉 😉

    Oder liegt es an den vorgerückten Jahren deinerseits . 😉 😉 😉 😉

  15. 29. April 2011 15:00

    Mann bzw. frau ist so alt wie mann/frau sich fühlt. 😉

    Im Übrigen: In/auf Internetplattformen sind User/innen alle per du.

    Ungeachtet, ob ich nun jünger oder älter als du bin: Ich erlaube dir, mich zu duzen.

  16. 1. Mai 2011 17:53

    Darf ich dich bei meinem Blog verlinken ?

  17. 3. Mai 2011 20:09

    @alltagimrettungsdienst

    Ich freu‘ mich sehr darüber. Wenn du magst/Zeit hast, darfst du auch gerne meinen Blog verlinken.

    Viele herzliche Grüße

    Andrea

  18. 17. Mai 2011 16:13

    hach, wie süß 🙂
    und trotzdem bin ich froh, daß mir das „vergnügen“ einer geburt zu hause oder im rtw bisher erspart geblieben ist 🙂

  19. Jane Doe permalink
    17. Mai 2011 23:42

    jetzt hab sogar ich ein Grinsen im Gesicht 😉
    Erinnert mich an die Examensfrage eines Bekannten, sie werden als Hausarzt zu einer Geburt gerufen und sehen bei ihrer ankunft das ein Fuß/bein sich bereits im Geburtskanal befindet, was tun sie? a. wehentreibende mittel geben, b. den fuß zurückschieben und ins kh fahren, c. den notarzt rufen (relativ frei formuliert und die letzten beiden fallen mir nicht ein…er hat dann b angekreuzt ;-))

  20. 8. Juni 2015 21:53

    Wunderbar geschrieben!

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